
Der US-Mediziner Dr. Michael Greger hat tausende Studien zum Altern ausgewertet und weiß, wie wir uns jung und fit essen können. Was lernen wir von ihm?
BRIGITTE: Gerade habe ich Weizenkeime und Brokkoli eingekauft …
Michael Greger: Fantastisch! Weizenkeime enthalten Spermidin, Brokkoli Sulforaphan – beides sind Stoffe, die die Langlebigkeit fördern können.
Die Infos habe ich aus Ihrem Buch „How not to age“, für das Sie rund 13 000 Studien ausgewertet haben. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Dass man keine drastischen Veränderungen vornehmen muss, um länger zu leben. Lebensstilfaktoren können darüber entscheiden, ob man ein Jahrzehnt länger lebt, wenn man nicht raucht, nicht fettleibig ist, regelmäßig Sport treibt, mehr Obst und Gemüse isst – und dafür ist es nie zu spät. Wir haben die Macht, dass die überwiegende Mehrheit der vorzeitigen Todesfälle und Krankheiten mit einer ausreichend gesunden Ernährung und Lebensweise vermeidbar ist.

BRIGITTE-Dossier „Stoffwechsel“
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Wenn wir nur eine Sache ändern könnten: Was sollte das sein?
Die Ernährung. Laut der Global Burden of Disease-Studie, der größten systemischen Analyse von Risikofaktoren in der Geschichte der Menschheit, ist die Hauptursache für Tod und Krankheit unsere Ernährung. In Deutschland sterben allerdings mehr Menschen durch Rauchen als in den Vereinigten Staaten – die Deutschen sollten also außerdem unbedingt mit dem Rauchen aufhören. Ich war übrigens erfreut zu lesen, dass der Pro-Kopf-Fleischkonsum in Deutschland in den letzten Jahren gesunken ist, gegen den globalen Trend – das ist super, machen Sie weiter so!
Warum? Weil tierische Produkte uns schneller altern lassen?
Die pflanzenbasierte Ernährung wird mit einem niedrigen Risiko für Kreislauferkrankungen in Verbindung gebracht und mit einem niedrigeren Gesamtsterberisiko. Aber: Man darf nicht davon aus-gehen, dass man sich automatisch gesund ernährt, nur weil man auf tierische Produkte verzichtet. Wichtig ist es, reichlich pflanzliche Vollwertkost zu essen. Ich empfehle: 50 verschiedene pflanzliche Lebensmittel pro Woche.
Was tun Sie selber, um möglichst lange gesund zu bleiben?
Ich versuche, die laut Studien wichtigsten Lebensmittel zu essen.
Und welche sind das?
Dunkelgrünes Blattgemüse, Kreuzblütlergemüse wie Brokkoli, Beeren, Bohnen und andere Hülsenfrüchte, ein Esslöffel gemahlene Leinsamen, ¼ Teelöffel Kurkuma, ¼ Tasse Nüsse und Samen, 3 Portionen Vollkorn und weiteres Gemüse und Obst. Ich versuche, diese Lebensmittel jeden Tag in meine Ernährung zu integrieren. Wenn ich unterwegs bin, ist das allerdings manchmal schwierig.
Und nur gesund essen reicht, um gesund zu altern?
Nein, ich trinke außerdem viel Wasser, gehe 20 Kilometer am Tag (Anmerkung der Redaktion: zum Beispiel während dieses Interviews auf einem Laufband), mache Krafttraining und Stretching. Und ich versuche, Inaktivität zu verhindern.
In den USA gibt es den Trend zur Langlebigkeit schon seit einigen Jahren. Was steckt hinter dem Hype?
In vielen Industriestaaten gibt es immer mehr ältere Menschen. Viele von ihnen erfahren jetzt, dass sie einen Bluthochdruck, einen hohen Cholesterinspiegel oder einen Prädiabetes haben. Und interessieren sich plötzlich dafür, wie sie gesünder leben könnten.
Vielen reicht es, Pillen zu nehmen, um Krankheiten zu verhindern.
Sowohl Patienten als auch Ärztinnen überschätzen die Macht von Medikamenten bei Zivilisationskrankheiten. Sie werden Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes nicht stoppen oder rückgängig machen, wenn die Betroffenen weiterhin so essen und leben wie bisher.
Wie viel bei der Langlebigkeit ist Lifestyle, wie viel genetisch bedingt?
Studien an eineiigen Zwillingen zeigen, dass nur etwa 25 Prozent der Lebenserwartung genetisch bedingt ist. Wenn wir uns die Blue Zones ansehen, also die Gebiete mit außergewöhnlicher Langlebigkeit auf der ganzen Welt, sehen wir, dass hier vor allem vollwertige pflanzliche Lebensmittel verzehrt werden – also Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Kräuter – und nur wenig verarbeitete Lebensmittel, Fleisch, Milchprodukte, Zucker, Eier und Salz.
Sie empfehlen im Gegensatz zu einigen Kolleg:innen, nur wenig Protein zu essen. Wieso das?
Studien zeigen, dass eine Begrenzung der Proteinaufnahme die Alterung blockiert, die Immunität verbessert, oxidativen Stress, Entzündungen und Insulinresistenz verringert sowie das krebsfördernde Wachstumshormon IGF-1 senkt. Bei einer durchschnittlichen Körpergröße reichen bei Frauen meiner Meinung nach etwa 45 Gramm Protein pro Tag, bei Männern 55.
Und wie erklären Sie, dass es so viele Experten gibt, die sagen, dass wir mehr Protein essen müssen?
Wie kommt es, dass es eine Industrie gibt, die versucht, Ihnen Proteinpulver zu verkaufen? Das ist Marketing.
Kann ich eigentlich alle Nährstoffe über Lebensmittel aufnehmen – oder muss ich Vitaminpillen nehmen, wenn ich im Alter fit bleiben möchte?
Wir sollten versuchen, unsere Nährstoffe möglichst aus Obst und Gemüse zu beziehen, nicht aus Nahrungsergänzungsmitteln. Aber es gibt zwei Vitamine, die nicht von Pflanzen hergestellt werden und die ich substituiere. Eines ist Vitamin D3. In den Wintermonaten in Deutschland produziert der Körper nicht genug davon, daher sollte man seinen Wert bei einer Ärztin checken lassen und gegebenenfalls ergänzen. Und auch Vitamin B12 nehme ich extra ein. Das ist vor allem für Veganer:innen und Vegetarier:innen wichtig. Auch diesen Wert am besten beim Arzt überprüfen lassen.
Leben Sie eigentlich komplett vegan?
Ich esse überwiegend pflanzlich, aber nicht ausschließlich. Wichtig ist der Prozentsatz der Ernährung, der aus vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln besteht. Es spielt keine Rolle, was Sie an Geburtstagen, Feiertagen und besonderen Anlässen essen, es sind die alltäglichen Dinge, die sich summieren.
Studien zeigen, dass auch die Darmgesundheit wichtig ist, um im Alter fit zu bleiben.
Im Alter verändert sich die Balance von nützlichen hin zu mehr schädlichen Darmbakterien. Das geht einher mit einer zunehmenden Durchlässigkeit der Darmwand, durch die unverdaute Nahrung und Giftstoffe ins Blut rutschen und Entzündungen auslösen können. Es wird daher vermutet, die Veränderung des Mikrobioms sei eine Hauptursache für altersbedingte Krankheiten. Diese Störung des Darmflora-Gleichgewichts kann durch zu wenig Ballaststoffe, Antibiotika, zu viel Salz, Eiweiß und bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe entstehen.
Auch Fasten hat positive Auswirkungen auf den Alterungsprozess.
Ja, denn dabei schalten die Zellen um auf einen Schutzmodus, der den Schaden durch freie Radikale und Entzündungen mindert. Eine dauerhaft beschränkte Kalorienzufuhr kann Blutdruck, Cholesterin, Stimmung und Schlaf verbessern.
Viele Langlebigkeitsexperten empfehlen außerdem Blut- oder Gentests …
Man braucht keine ausgefallenen Tests, um den Leuten zu sagen, dass sie sich gesund ernähren, sich bewegen und mit dem Rauchen aufhören sollen. Das dient vor allem der Motivation. In den USA gibt es nur einen Bluttest, der jährlich für Erwachsene empfohlen wird, und das ist ein Cholesterintest. Es ist sehr wichtig zu wissen, wie hoch Ihr Cholesterin ist, und sicherzustellen, dass er in einem sicheren Bereich liegt. Herzkrankheiten sind die Todesursache Nummer eins.
Ihre Tipps für ein längeres Leben?
1. Hülsenfrüchte wie Bohnen, Kichererbsen und Linsen. 2. Dunkelgrünes Blattgemüse. 3. Nüsse und Samen. 4. Beeren. 5. Last but not least: Mit dem Rauchen aufhören.
Und was ist mit Sport?
Die gesundheitlichen Vorteile von körperlicher Aktivität sind überwältigend: Sie verbessert Muskelmasse, Kraft, Gleichgewicht und Mobilität, verringert das Sturzrisiko, minimiert Knochenschwund, verbessert die Stimmung, die Kognition, die Arterienfunktion und die Insulinsensitivität. Ob man dadurch wirklich länger lebt, ist allerdings noch nicht endgültig festgestellt.