
Natascha Sagorski, 40, verlor ihr Kind in der zehnten Schwangerschaftswoche. Seit 2022 kämpfte sie dafür, dass Frauen nach einer Fehlgeburt das Recht auf eine Auszeit haben – und forderte einen Gestaffelten Mutterschutz. Nun wurde das Gesetz endlich verabschiedet.
Eine Fehlgeburt ist ein einschneidendes, für manche Frauen ein traumatisches Erlebnis. Trotzdem wurde ihnen keinerlei gesetzliche Schutzfrist gewährt – es wurde erwartet, dass sie weiter funktionieren, als sei nichts geschehen. Natascha Sagorski, Politologin, Autorin und PR-Frau, hat das selbst erlebt und setzte sich jahrelang für den „Gestaffelten Mutterschutz“ ein. 2022 startete sie eine Petition und legte Verfassungsbeschwerde ein, die Ampel kündigte eine Reform des Mutterschutzgesetzes an. Passiert war erstmal nichts. Erst kurz vor Weihnachten 2024 hat sich der Bundestag auf einen Gesetzentwurf geeinigt. Nun wurde das Gesetz verabschiedet. Worum geht es genau? Das haben wir Natascha Sargorski vor ihrem großen Erfolg gefragt.
BRIGITTE: Sie setzen sich intensiv für einen Gestaffelten Mutterschutz ein. Worum geht es dabei genau?
Natascha Sagorski: Der Mutterschutz schließt alle Mütter aus, die eine Fehlgeburt erlitten haben. Momentan ist es so: Erfahre ich am letzten Tag der 23. Schwangerschaftswoche, dass mein Kind keinen Herzschlag mehr hat, bekomme ich null Tage Mutterschutz. Erhalte ich die gleiche Diagnose einen Tag später, bekomme ich 18 Wochen Mutterschutz. Das ist eine harte Grenze, die überhaupt keinen Sinn ergibt. Deshalb engagiere ich mich für einen freiwilligen Gestaffelten Mutterschutz, der bei der Feststellung der Fehlgeburt beginnt – zunächst mit mindestens zwei Wochen und dann immer mehr.
Warum freiwillig?
Wenn eine Frau nach einer Fehlgeburt sagt, ich möchte morgen wieder arbeiten, dann soll sie das natürlich tun. Alle anderen Frauen würden durch den Gestaffelten Mutterschutz aufgefangen, weil sie wissen: Das ist mein Recht. Da hat ein Herz geschlagen, da haben Menschen sich auf ihr Baby gefreut, sie kannten den errechneten Termin und haben vielleicht schon Babysachen gekauft. Sie sollten bei niemandem um eine Schutzfrist betteln müssen, auch nicht bei einem Gynäkologen, der ihnen gegenübersitzt und sagt: „Arbeiten wird Ihnen jetzt guttun“.
Werden die Frauen bisher gar nicht krankgeschrieben?
Das hängt vom Arzt oder der Ärztin ab. Ich wurde nach meiner Fehlgeburt nicht krankgeschrieben. Mein Mann musste herumtelefonieren, bis mein Hausarzt mich schließlich krankschrieb – und das nur, weil seine Frau selbst mal eine Fehlgeburt hatte. Damals dachte ich noch, ich wäre ein Einzelfall.
Das passiert also häufiger?
Für mein Buch „Jede 3. Frau“* über Fehlgeburten habe ich mit vielen Betroffenen gesprochen, und obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte, erzählten viele, dass sie nicht krankgeschrieben wurden oder zu mehreren Ärzt:innen rennen mussten. Erst da ist mir klargeworden: Wir haben ein strukturelles Problem. Hebammen und Trauerbegleiterinnen haben mir das bestätigt. Aber es beschwert sich eben keine Frau öffentlich – nach einer Fehlgeburt bist du nicht laut und gehst auf die Straße. Ich habe festgestellt, dass es keine Lobby für Frauen nach Fehlgeburten gibt, und das hat mich wahnsinnig wütend gemacht.
2019 hatten Sie selbst eine Fehlgeburt. Wie haben Sie das erlebt?
Für mich war das eine ganz, ganz schlimme Erfahrung. Psychisch sowieso, aber auch körperlich war es deutlich heftiger als erwartet – der Hormonabfall, die Blutungen, der Wochenfluss. Internationale Studien haben gezeigt, dass der emotionale Verlust bei frühen Fehlgeburten derselbe ist wie bei späteren Abgängen. Das heißt, auch wenn wir über die psychologischen Folgen sprechen, ist diese harte Grenze nicht haltbar.
Bei einem Abgang vor dem Ende der 23. Schwangerschaftswoche spricht man von einer Fehlgeburt, danach von einer Totgeburt – woher kommt diese Grenze eigentlich?
Sie wurde mit der Lebensfähigkeit des Kindes begründet, aber das ist längst überholt. Mittlerweile gibt es Frühchen, die in der 21. Woche überleben. Der Verfassungsrechtler Remo Klinger sagt außerdem ganz klar: Der im Grundgesetz verankerte Mutterschutz schützt die Mutter, und deshalb ist die Lebensfähigkeit des Kindes gar kein Kriterium.
Mit Remo Klinger haben Sie 2022 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Was wollten Sie damit erreichen?
Im Grundgesetz steht, dass Mütter einen Anspruch auf Fürsorge und Schutz durch die Gesellschaft haben. 2015 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das auch für werdende Mütter gilt. Es kann aber nicht sein, dass das erst ab einem bestimmten Tag in der Schwangerschaft zutrifft. Ich habe mich an Remo Klinger gewandt und die Empfehlung von ihm bekommen, nach Karlsruhe zu gehen. Er sagt klipp und klar, dass das Mutterschutzgesetz gegen das Grundgesetz verstößt. Auch wegen des Gleichheitsgrundsatzes: Warum werden Frauen bis zu diesem Tag so behandelt und ab dem nächsten ganz anders?
Es gibt bereits Unternehmen, die Mitarbeiterinnen nach einer Fehlgeburt Auszeiten ermöglichen. Wie erklären Sie sich, dass die Wirtschaft beim Mutterschutz schneller ist als die Politik? Die Ampel hatte eine Reform angekündigt, passiert ist nichts.
Gesetze zu ändern ist wahnsinnig komplex, und es kommen viele Begehrlichkeiten zusammen. Was mich aber wirklich entsetzt, ist, dass frauen- und familienpolitische Themen in der Prioritätenliste immer weiter nach unten gereicht werden. Alle Fraktionen haben einer gesetzlichen Schutzfrist nach Fehlgeburten zugestimmt, und die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet sie auch. Es wäre für das Familienministerium also ein Erfolgsprojekt gewesen, zu sagen, wir ändern das, wir schreiben Geschichte. Aber das Gegenteil ist der Fall, und manchmal höre ich Aussagen, die mich wirklich treffen, besonders weil sie von Frauen kommen.
An wen denken Sie da?
Ich hatte meine Petition für den Gestaffelten Mutterschutz 2022 gestartet, weil ich dachte, wow, eine grüne Familienministerin, da kriegst du jetzt richtig Rückenwind. Aber diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Lisa Paus und auch Staatssekretärin Ekin Deligöz waren bislang nicht die größten Unterstützerinnen. Ich musste eher Türen eintreten, als dass sie geöffnet werden.
Welche Forderungen haben Sie jenseits der Mutterschutzreform an die Politik?
Fehlgeburten sind wahnsinnig häufig, das ist von der Natur so gemacht und die Frauen sind nicht schuld daran. Dieses Wissen muss in der Gesellschaft ankommen. Deshalb fordere ich auf Landesebene, das Wissen zu Fehlgeburten in den Aufklärungsunterricht in der Schule zu integrieren.
Und was brauchen akut betroffene Frauen?

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Sie müssen einfach und ohne Hürden an Informationen kommen können. In gynäkologischen Praxen liegen tausend Broschüren zum Einfrieren von Nabelschnurblut für 4.000 Euro, aber es gibt kaum Material zu Fehlgeburten. Auch über ihre Rechte werden die Frauen nicht aufgeklärt.
Welche Rechte haben die Frauen denn?
Bei einer Fehlgeburt nach der zwölften Woche hat man zum Beispiel einen Kündigungsschutz, das wissen häufig nicht mal die Arbeitgeber:innen. Die wenigsten wissen auch, dass eine Frau nach einer Fehlgeburt Anspruch auf Hebammenbetreuung hat. Die meisten denken: Ich bin ja nicht mehr schwanger, da kann ich doch meine Hebamme nicht anrufen. Dass ich in so einer Krisensituation all diese Dinge erst googeln muss, darf einfach nicht sein.